„Ich habe keine Zeit zum Sprachenlernen“, das ist ein Satz, den ich sehr häufig höre. Der zweite Satz, der dann kommt, wenn ich sage „Ich habe auch nicht viel Zeit, aber ich lerne trotzdem Sprachen, sogar mehrere“, ist meist: „Ja, du! Du hast ja auch Talent!“
Aber ist es das wirklich? Das vermeintliche Talent wiegt das Zeitproblem auf? Wenn du also Talent hast, fliegt dir alles zu?
Ich glaube das nicht – und die meisten Polyglotten übrigens auch nicht. Polyglotte sind Menschen, die mehrere Sprachen, auf welchem Niveau auch immer, beherrschen. Bei meinen regelmäßigen Sprachenmesse- und Sprachkonferenzbesuchen spreche ich immer wieder mit diesen Polyglotten, die übrigens ganz normale Menschen sind. Sie haben nur eine Passion: die Sprachen. Du würdest staunen, wie viele Sprachen jeder einzelne von ihnen lernt oder gelernt hat. Und das ist nicht alles nur Talent, das kannst du mir glauben.
Zurück zur Zeit also. Niemandem fällt eine Sprache automatisch zu. Wer Sprachen beherrschen möchte, muss sich damit beschäftigen. Am Lernen oder besser am Sich-mit-der-Sprache-Beschäftigen führt kein Weg vorbei. Und der Lernprozess kann nicht einfach übersprungen werden.
Aber wie kannst du jetzt dein Zeitproblem in den Griff bekommen? Natürlich kann ich dir keine Extrastunden herbeizaubern, aber vielleicht klappt es mit dem Lernen ja auch schon, wenn du die Zeit, die du hast, sinnvoll nutzt? Und glaube mir, dazu musst du fast nie an den Schreibtisch und klassisch lernen.
Der erste Schritt – deine Zielsetzung
Was möchtest du denn mit der Sprache anfangen? Interessieren dich Zeitungen, Bücher und Zeitschriften, möchtest du lieber im Fernsehen Filme und Serien anschauen, willst du in der Sprache schreiben oder doch lieber mit den Menschen sprechen? Es ist klar, dass du ein Ziel definieren musst, um festzulegen, wie du dorthin kommst. Dein Navigationssystem im Auto sagt dir ja auch erst, wo du hinfahren musst, wenn du deinen Zielort eingegeben hast.
Also: Überlege dir, wofür du die Sprache brauchst. Natürlich kannst du dir auch ein Ziel setzen, welches mehr als eine Fertigkeit beinhaltet. Im Idealfall, also zur umfassenden Sprachbeherrschung, wirst du alle vier Fertigkeiten, also Lesen, Schreiben, Sprechen und Hören, brauchen.
Setze dir also dein persönliches Ziel, denn dadurch legst du deinen Lernweg fest.
Zweiter Schritt – Wie legst du ein Ziel fest?
Dazu empfehle ich dir meinen Artikel „Mein Ziel beim Sprachenlernen – fließend sprechen, was sonst!“. Überlege dir genau, was du in der Fremdsprache können möchtest. Angenommen, du möchtest mit französischen Freunden sprechen. Dann ist dein grundsätzliches Ziel erst einmal das Sprechen. Die Zieldefinition lautet jetzt also „Ich möchte mit meinen französischen Freunden eine halbe Stunde in Französisch sprechen“.
Allerdings sollte das Ziel fünf Vorgaben erfüllen. Es sollte spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminiert sein.
Was heißt das nun genau?
spezifisch: Eine halbstündige Unterhaltung in Französisch ist ein spezifisches Ziel.
messbar: Jede Woche spreche ich zweimal mit meinen Französischfreunden und erhöhe dabei immer den Französischanteil.
akzeptiert: Du musst das Ziel als dein Ziel annehmen. Es geht hier um deine Eigenmotivation.
realistisch: Es ist klar, dass du als Anfänger nicht in drei Wochen eine halbe Stunde in Französisch sprechen kannst. Jedoch ist realistisch, dieses Ziel in sechs Monaten oder einem Jahr zu erreichen.
terminiert: Setze dir für dein Ziel einen Termin. Falls dir das zu lange dauert, unterteile das große Ziel in kleine Teilziele.
Wenn du genauere Informationen dazu benötigst, dann schaue dir den Artikel „Mein Ziel beim Sprachenlernen?“ an, dort ist alles viel genauer erklärt.
Was ist jetzt mit den vier Fertigkeiten?
Die vier Fertigkeiten sind Lesen, Schreiben, Sprechen und Hören. Wenn du also alle beherrschen möchtest, wirst du auch Zeit für alle vier Fertigkeiten einplanen müssen. Von nichts kommt nichts. Du wirst beispielsweise nicht das italienische Radio verstehen, wenn du über den Brenner gefahren bist, wenn du vorher nicht geübt hast. Du wirst nicht fließend sprechen können, wenn du vorher nicht geübt hast. Eigentlich ist das auch ganz logisch, oder?
Nachdem du also dein Ziel festgelegt hast, ergeben sich die Fertigkeiten, die du üben solltest, ganz automatisch. Du musst keine Aufsätze schreiben, wenn du mit den Menschen sprechen willst. Du musst nicht sprechen, wenn du die Sprache nur schriftlich verwenden möchtest.
Daher stelle ich dir nun viele Möglichkeiten vor, wie du die einzelnen Fertigkeiten üben kannst. Da ist sicher auch für dich das Passende dabei!
Heute soll es um das Lesen gehen. Die anderen Fertigkeiten behandeln wir dann in den folgenden Artikeln.
Das Lesen – meine Tipps
Lies Bücher
Glücklicherweise ist es heutzutage sehr einfach, Bücher aus dem Ausland zu beschaffen. Aber wie kannst du diese Bücher auswählen? Überlege dir, was dich interessiert – das ist meiner Meinung nach das wichtigste Kriterium. Was mich in meiner Muttersprache nicht interessiert, will ich auch nicht in einer Fremdsprache lesen. Und niemand sollte dir vorschreiben, was du lesen sollst.
Wenn du Originallektüre noch zu schwierig findest, dann schau dich mal bei den Kinderbüchern oder bei den „Graded Readers“ um. Es gibt ganz großartige Kinderbücher, zum Beispiel Biografien bedeutender Wissenschaftler in vielen verschiedenen Sprachen (der Autor ist Luca Novelli). „Graded Readers“ sind Lesetexte, die an die unterschiedlichen Lernniveaus angepasst sind. Dabei bedeutet A1/2 leicht, B1/2 mittel und C1/2 schwierig.
Wie wäre es mit diesem Buch (in gedruckter Fassung oder als E-Book) hier? Es ist zwar in Deutsch, aber es liefert dir sehr viele Tipps zum Sprachenlernen – und es ist von mir. 🙂
Du findest es hier: Sprachenlernen – Tolle Tipps und Tricks von Christine Konstantinidis
Die Beschreibung dafür:
Denkst du mit Schrecken an deine Schulzeit und den Sprachunterricht zurück? Glaubst du, für Sprachen einfach kein Talent zu haben? Wurmt es dich aber doch, deine Lernsprache nicht sprechen oder verstehen zu können – egal auf welchem Niveau -, denn du besuchst doch immer diese netten Leute in Florenz oder Paris oder findest spanische oder englische Krimis so toll?
Dann lasse es doch auf einen Versuch ankommen! In diesem Buch zeige ich dir, ob Schüler oder Erwachsener, ob Anfänger oder Fortgeschrittener, dass es großen Spaß machen kann, eine Sprache zu lernen. Durch die zahlreichen Tipps und Informationen, die in jahrzehntelangen Selbst- und Fremdversuchen ausprobiert wurden, ist es sehr praxistauglich.
Dieses Buch begleitet dich auf deinem Lernweg, bietet dir Hilfestellungen und sorgt dafür, dass dir das Lernen ebenso viel Spaß macht wie mir und meinen Kursteilnehmern und Schülern.
Wenn du die Tipps umsetzt, wirst du schnell das Pauken und die Grammatikregeln vergessen und feststellen, dass eine Sprache lebt: im und vom Alltag, von den unterschiedlichen Kulturen und Betrachtungsweisen, dem Klang, der Mimik, der Gestik, den Freundschaften, der Musik und den kulinarischen Genüssen – all das wird in dein Lernen mit einbezogen und spricht so alle deine Sinne an.
Viele meiner Kursteilnehmer sind Woche für Woche mit Feuereifer bei der Sache und haben schon zahlreiche Freundschaften im Ausland geschlossen – eine schönere Motivation gibt es nicht!
Wenn du also die vorgeschlagenen Tipps und Methoden umsetzt, dann wirst du auch bei Zeitmangel oder anderen Widrigkeiten wesentlich zielgerichteter und erfolgreicher eine Sprache lernen.
Was hindert dich also noch daran? Finde für dich die perfekte Art des Lernens und freue dich Tag für Tag an deinen Erfolgen.
Alles, was du dafür brauchst, ist dieses Buch!
Mein Tipp: Denke auch einmal über E-Books nach. Ich persönlich habe einen Kindle und ich liebe ihn! Man kann nämlich in E-Books Passagen markieren und (zumindest beim Kindle funktioniert das so) Vokabeln mittels integriertem Wörterbuch übersetzen lassen. Der Kindle übernimmt dann die gefundenen Vokabeln in eine Liste, die du per Mail exportieren kannst. Dann kannst du diese Vokabeln in einen Vokabeltrainer eingeben.
Lies Zeitungen und Zeitschriften
Du kannst im Urlaub immer mal wieder eine Zeitschrift oder eine Zeitung kaufen. Am besten wählst du eine, die sich thematisch um dein Hobby dreht. Ich kaufe mir lieber Zeitschriften als Zeitungen, weil sie länger aktuell sind – kein Mensch möchte eine Tageszeitung lesen, die schon fünf Tage alt ist. Zudem sind Tageszeitungen meist relativ schwierig. Zeitschriften bleiben lange aktuell und haben oft auch einen einfacheren Wortschatz. Also: Warum liest du nicht mal die Runner’s World in Spanisch oder die Zeitschrift „Turisti per caso“ in Italienisch? Auch Kochzeitschriften könnten eine Möglichkeit sein – oder einfach klassische Frauenzeitschriften.
Mein Tipp: Es gibt ein E-Paper-Portal mit den Namen Zinio. Dort kannst du sehr günstig Zeitschriften kaufen und abonnieren – als E-Version für deinen Computer oder dein Tablet. Ich finde das sehr praktisch, vor allem weil man nicht gleich ein Abo abschließen muss, sondern auch Einzelausgaben erhältlich sind. Zudem sind E-Ausgaben wesentlich günstiger als die gedruckte Fassung. Das ist auf jeden Fall eine Option, wenn du nicht dauernd im Land bist oder jemanden kennst, der dir Zeitschriften mitbringen kann.
Stelle deine Browser-Startseite in deiner Lernsprache ein – für das Lesen
Welche Startseite zeigt dein Browser an, wenn du ihn öffnest? Viele Menschen verwenden einfach Google oder ihr E-Mail-Programm. Wie wäre es, wenn du diese Startseite auf eine Seite in deiner Lernsprache umstellst, zum Beispiel auf eine Tageszeitung (Corriere della Sera, Herald Tribune, Le Monde, El País…) oder auf einen Blog, den du gerne liest? So erhältst du immer aktuelle Inhalte und bleibst ab und zu in deiner Lernsprache hängen und liest ein bisschen.
Mein Tipp: Achte darauf, eine dynamische Seite zu verwenden, auf der sich die Inhalte häufig ändern. Wenn du eine statische Seite nimmst, auf der also die Inhalte über Wochen hinweg gleich sind, wirst du nach ein paar Tagen nicht mehr lesen, weil du alles schon kennst. Außerdem kannst du auch mehrere Seiten als Startseiten einstellen, so dass du zum Beispiel nicht auf dein E-Mail-Programm verzichten musst.
Lies an bestimmten Tagen nur in deiner Lernsprache
Liest du regelmäßig in deiner Lernsprache? Oder fehlt dir auch dafür die Zeit? Versuche einmal den folgenden Tipp: Lies jeden 3. Tag nur Inhalte in deiner Lernsprache, sowohl als gedruckte Fassungen als auch im Internet. Also sind an diesen Tagen die muttersprachigen Tageszeitungen tabu. Oder gewöhne dir an, jeden Tag nur etwa fünf Minuten zu lesen – das schafft jeder.
Mein Tipp: Wenn du in Urlaub in das Land deiner Lernsprache fährst, nimmst du in Zukunft kein Buch von zu Hause mit, es sei denn, es ist in deiner Lernsprache. Lies also während des Urlaubs nur – und ausnahmslos – in deiner Lernsprache. Dazu gehört auch: nur Handyinhalte wie Tageszeitungsapps ebenfalls in deiner Lernsprache.
Lies täglich eine Passage laut in deiner Lernsprache
Hier hast du mehrere Möglichkeiten. Du kannst Shadowing üben, also gleichzeitig oder leicht zeitversetzt Texte mitsprechen, die du liest und anhörst. Du kannst aber auch einfach laut lesen, am besten ein Buch, das dich sehr interessiert. Du liest also das ganze Buch laut – ohne Ausnahme. Wenn du wissen willst, wie es weitergeht, musst du laut lesen. Du kannst dich auch selbst aufnehmen – ich weiß, dass man dabei eine Hemmschwelle überwinden muss, aber es ist sehr motivierend, wenn man merkt, dass sich der eigene Akzent verbessert.
Mein Tipp: Bitte einen Muttersprachler, dich zu korrigieren. Wenn du also Muttersprachler kennst, kannst du ihnen auch deine aufgenommenen Texte schicken und dir Vorschläge zur Verbesserung deiner Aussprache machen lassen. Selbstverständlich steht es dir frei, das auch für sie in deiner Muttersprache zu erledigen. Muttersprachler findest du übrigens auf Italki.
Schau Filme und Serien mit Untertiteln – für das Lesen
Schau ab und zu deine Filme und Serien mit Untertiteln in deiner Lernsprache an und lies konzentriert mit. So lernst du viel neues Vokabular und siehst, wie die Wörter im Zusammenhang verwendet werden.
Mein Tipp: Integriere ein Programm/eine App wie Reverso in deine Netflix- oder sonstige App. So kannst du Vokabeln anklicken, die du nicht kennst – und lernst noch mehr, denn diese werden dann, wie beim Kindle, in eine Liste übernommen.
Der wichtigste Tipp zum Lesen
Der wichtigste Tipp: Hab immer etwas zum Lesen in der Nähe. Du wirst deinen Lesevorsatz schnell vergessen, wenn du jedes Mal 15 Minuten brauchst, bis du passendes Lesematerial findest. Und setze dir Triggerpunkte: entweder über die Uhrzeit oder über eine bestimmte Handlung. Du sagst dir also: Entweder lese ich täglich um 7 Uhr (oder um 18 Uhr) oder ich lese immer nach dem Essen bei einer Tasse Kaffee. Es ist wichtig, diese neue Gewohnheit mindestens 30 bis 60 Tage durchzuhalten, ohne Pause! Dann hat sich die Gewohnheit installiert und dir wird etwas fehlen, wenn du einmal nicht liest.
Und lies unbedingt nur Inhalte, die dich interessieren! Warum sollst du deine Zeit mit langweiligen Inhalten vergeuden?
War heute schon etwas für dich dabei? In der nächsten Folge gibt es die Tipps zum Hören. Du wirst auch dann überrascht sein, welche Möglichkeiten du dabei hast.
Was du jetzt tun sollst:
Entscheide dich sofort, was du lesen möchtest, und besorge dir das entsprechende Material. Setze dir einen Termin, wann du regelmäßig lesen möchtest und fang einfach an.
Ich freue mich übrigens auf Kommentare, in denen du mir mitteilst, was du in welcher Sprache liest. Sicherlich sind da auch Inspirationen für andere Sprachlerner dabei.
0 Kommentare
1 Pingback